Es gab eine Zeit, in der wurde mündlich überliefert, was Menschen erlebt und gehört hatten. Die Geschichtenerzähler wurden stets geachtet und umlagert, wenn Sie begannen, Ihre Abenteuer durch bildhafte Sprache und geheimnisvolle Betonung zum Leben zu erwecken.
Und schon seit jeher hatten viele Geschichten einen tieferen Sinn, eine Moral, oder sogar eine heilende Wirkung
Ein gewisser Herr Jesus gehört da wohl zu den bekannten Vertretern dieser „Zunft“, Charlotte Rougemont hingegen eher nicht. Die 1901 in der Hansestadt Hamburg geborene Frau hatte sich bis zu Ihrem Tode im Jahr 1987 das Erzählen von Märchen zur Lebensaufgabe gemacht.
Geschichten fördern das Wohlbefinden
Als Studentin nahm sie an einem Vortrag der Märchenerzählerin Vilma Mönkeberg-Kollmar teil – dies war der Wendepunkt in ihrem Leben. Von diesem Tag an lernte sie neben ihrem Beruf als Medizinisch Technische Assistentin viele Märchen auswendig und trug sie ihren Patienten am Krankenbett vor. Besonders kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges 1945 in einem Lazarett in der Fördestadt Flensburg spendeten ihre Geschichten Trost und gaben den Verletzten Hoffnung und Zuversicht. Dies machte sich auch in Form einer schneller fortschreitenden Genesung bemerkbar.
So wurden über die Jahrhunderte Anekdoten, Legenden, Sagen, Fabeln, Geschichten, Metaphern, Gleichnisse und Märchen weitergegeben.
Besonders letztgenannte Form verbreitete sich dank der Märchensammlung von Jacob und Wilhelm Grimm, die neben den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht die bis heute die einzige weltweit wirklich berühmte Sammlung bildet.
Und sogar heute erlebt das Erzählen von Geschichten und Metaphern eine kleine Renaissance, und zwar im therapeutischen Kontext.
Hypnose in Geschichten geht in die Geschichte ein
In den 1980er Jahren erzielte der Hypnotiseur Milton Hyland Erickson mit Metaphern, die er seinen Klienten erzählte und mit hypnotherapeutischen Sprachmustern anreicherte, bemerkenswerte Erfolge.
Von der Arbeit Ericksons begeistert und inspiriert, baute der Mit-Erfinder des Neuro Linguistischen Programmierens, Dr. Richard Bandler, diese in das Modell von NLP mit ein.
Daraus entwickelte sich die Technik Nested Loops. Hypnotische Sprachmuster, eingebaut in ineinander verschachtelte Metaphern – eine sehr wirksame Methode, um besonders in Gruppen dramatische Veränderungsarbeit zu bewirken.
Doch von dieser Nische einmal abgesehen, scheint die Kunst des Erzählens zumindest im Alltag auszusterben.
Mit fast jedem Mobiltelefon ist es heute möglich, qualitativ hochwertige Fotos zu machen. Doch nicht nur das, die gerade gemachten Fotos können sofort in Social-Media-Netzwerken veröffentlicht werden.
So wissen Familie, Freunde und wer auch immer sofort über den Besuch in der Disco, am Strand oder im Restaurant in Form von vielen vielen Fotos bescheid.
Was früher ernst beim nächsten physischen Aufeinandertreffen oder am Telefon „mühsam“ erzählt werden musste, kann heute in sekundenschnelle und in Echtzeit in Form von Fotos und Videos durch die Datenleitung gejagt werden.
Ein Wintertag mit Folgen
Damit fällt in den meisten Fällen die bildhafte und begeisterte Erzählung flach. Dies fiel mir am vergangenen Wochenende auf. Er schneite dicke Flocken, die der Wind tänzelnd umherwehte. Meine nun schon fast dreijährige Tochter stand am Wohnzimmerfenster und blickte fasziniert auf die Winterwunderwelt da draußen.
Mit den Worten „Papa, da ist ganz viel Schnee!“ war klar, dass sie und ich jetzt wohl eine kleines Winterabenteuer erleben sollten.
Gesagt – getan. Schnell war der Schneeanzug über- und die wärmenden Handschuhe angezogen. Und schon ging es raus in den Schnee. Nur ein paar Schritte, und schon waren wir im Wald. Dort gab es allerlei abenteuerliche Dinge zu entdecken: Spuren von Tieren im Schnee, einen kleinen Bach und einige Hunde mit Frauchen und Herrchen auf Sonntagsspaziergang.
Nach einer kleinen Schneeballschacht, Schneerutschen und Schneeflocken essen ging es schnell zurück in die warme Stube, wo schon warmer Kakao und Plätzchen warteten.
Das Sie an dieser Stelle keine Fotos dieses kleinen Winterausfluges sehen, ist dem (leeren) Akku meines Smartphones zu verdanken. Er verhinderte aus wunderbare Art und Weise Fotos dieses wunderbaren Schneeabenteuers. Somit war ich angehalten, dieses Erlebnis in mich aufzunehmen und in meinem Gedächtnis abzuspeichern.
Und was soll ich sagen (schreiben)? Ohne dauernd Fotos zu machen wirkte das Erlebnis viel mehr wie aus einem Guss! Ich musste mich nicht dauernd darum kümmern, vermeintlich unwiederbringliche Momente in Form eines Fotos festzuhalten.
Nein, ich konnte ganz und gar bei meiner Tochter sein, und es war ein unvergessliches Erlebnis.
Mehr Erlebnis, weniger Fotos
Damit wir uns richtig verstehen: ich mag Fotos, ich mag Smartphones und ich bin (laut einiger Freunde) süchtig nach Facebook. Doch halte ich es für wichtig, sich die Fähigkeit, seinem Gegenüber Geschichten erzählen zu können, zu bewahren.
Dies hat einige Vorteile. Es hält zum Beispiel den Geist fit und steigert die Sinnesaufmerksamkeit. Mit einer gut vorgetragenen Präsentation gewinnen Sie gegen jede Power-Point-Präsentation. Ich merke gerade, dass diese Liste sich beliebig fortsetzen ließe.
Also: bleiben oder werden Sie ein brillanter Geschichten-Erzähler. Saugen Sie die schöne Welt um sich herum auf wie ein Schwamm und geben Sie sie in einer bildhaften und packenden Art und Weise an ihre Mitmenschen in Form einer Geschichte weiter.
Charismatische Grüße
Tom Krause
P.S.: Das Erzählen von Geschichten ist einer jener „sagenumwobenen“ Bausteine, die charismatischen Menschen zugeschrieben werden.
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